Christophorus

christophorus. hand, arm, die beiden köpfe bilden eine linie mit der stilisierten sonne. von unten gesehen, eingebunden zwischen erde und himmel, sind vater und tochter bild für zeitliche folge und verbindung. woher komme ich? wie komme ich voran? und wohin will ich gehen?

einer ratlosen und desorientieren gesellschaft stellt steffi weigel ihre jungen, oft kindlichen helden gegenüber. in momenten der entscheidung, der ruhe, des wagens, des träumens, des aufbruchs oder besinnens … in ernsthaftigkeit und zuversicht. selbstbewusst, dem vertrauend, was gerade ist.

ein geheimes wissen scheint sie zu stärken. erde und himmel. die kleidung der alten, das wasser, der wald. ein amulett, darin die möglichkeit zu scheitern, das wissen um die furcht und um den eigenen tod. ihre kraft kommt von innen, ist farbe und licht. konzentriert und darin so leicht, dass sie die grenzen des körpers verlassen kann, abgeben, teilen… oder perlend den himmel erreicht.

die geheimnisse in steffi weigels bildern verweisen nicht auf erzählbare geschichten. im wissen um die zeitliche dimension bleibt ihre perspektive radikal gegenwärtig. ihre bilder verweigern sich utopischer, dystopischer oder romantisch rückwärts gewandter deutung. sie zeigen uns das magische ‚jetzt‘ unserer existenz. diesen moment, der nicht durch ein besonderes ereignis sondern durch aufmerksamkeit, hingabe und selbstvertrauen bedeutend wird. den moment unserer freiheit. ausgang offen.

in dieser gegenwart spielt alter keine rolle. eher die haltung. hier trifft sich traumhaftes vertrauen mit selbstbewußter hingabe. weil steffi weigel auf feste zuschreibungen zum kind, zum erwachsenen, verzichtet, teilen die figuren mit jedem, der dabei sein will, den augenblick – ihr wissen um die kraft der bilder: erinnerung ans jetzt.

`ich mag keine Bilder, die zu clever sind und so zur pose erstarren´ hat der amerikanische fotograf duane michals einmal gesagt, `aber wenn sie mir etwas darüber sagen, was es heißt zu leben, dann sind sie ein geschenk der kunst für mich.´ so wie die bilder von steffi weigel.thomas michalak, berlin 2014

48:08:59 N 11:33:42 E München
Galerie Martin Mertens

Steffi Weigels Zeichnungen, Aquarelle und kleine Ölbilder – zum Teil – gemalt auf den massiven Holzpaneelen historischer Kirchenbänke, behandeln häufig das Thema Kindheit. Ihre Figuren wirken eigenartig mystisch und melancholisch und bekommen fast die Anmutung zeitgenössischer Ikonen.

Schlachtenbummler
KOMET Berlin Galerie

Steffi Weigel’s fantasy concoctions of imaginary battles and tensions recall Victorian fictions and C.S. Lewis’s oeuvre through watercolour images of haunting depth and intricacy.
The expressions on the faces of the children she paints are chilling and emotionally ripe, yet her narratives remain intriguingly ambiguous.
Underpinning her images is an awareness that children harbor secret imaginative worlds full of rich colour and complexities which will not carry forth into adulthood. But while the images themselves remain unreadable, their intensity reminds her grown-up viewers of their own forgotten imaginary dramas.

Ana Finel Honigmann

VERLETZLICHKEIT ALS KRAFT
Katalogtext zu den Arbeiten von Steffi Weigel

Verschüchtert steht ein kleines Mädchen im weissen, knielangen Kleid und ineinander geflochtenen Händchen vor einer kalten Steinfassade (5 VOR 12, 2009). Ein Junge, der einen zu groß geratenen Hut trägt, pendelt wiederum auf einem zu kleinen Schaukelpferd vor einer beklemmend grellen Landschaftskulisse (SCHLACHTENBUMMLER, 2009). Ein weiterer Junge sitzt in einem braunen Anzug mit zu kurzen Hosenbeinen und verschränkten Armen auf einem grauen Stein und blickt mit zusammengepressten Lippen zum Betrachter (ICH SAZ UF EIME STEINE, 2009). Seine lederbeschuhten Füße schweben haltlos über tiefblauem Wasser.

Steffi Weigel Figuren durchzieht eine Ambivalenz zwischen kindlicher Unschuld und erwachsener Komplexität. Signalträchtig, aber unaufdringlich präsentieren sie sich mit zärtlichen Details wie winzigen Haarschleifen, glänzenden Lederschuhen und immer wieder dem Motiv der unsicher versteckten Kinderhände. Ihr standhafter Gesichtsausdruck wiederum suggeriert eine emotionale Tiefe und Erfahrung, die in Kombination mit ihrer Verletzlichkeit den Betrachter mit einer grundsätzlichen Fragilität und Unsicherheit des menschlichen Daseins konfrontiert.

In meisterhaft beherrschter Lavierung blicken die Figuren als gespenstische Phantome den Betrachter aus einer von opaken Schlieren durchzogenen Vergangenheit an und erinnern ihn in dieser Intensität an seine eigenen vergessenen Dramen.

Weigels größte Radikalität innerhalb der Darstellungen von Verletzlichkeit und der darin immanenten Stärke findet sich in der Portraitserie von Neugeborenen (UMA, MINA´S SCHWESTER, GISELE, 2008). In einem monumentalen Format konfrontiert die Künstlerin den Betrachter mit der reinen Präsenz überlebensgroßer Babyköpfe. Die vor monochrom weissem Hintergrund fleischlich modellierten Flächen nackter Haut in roter, violetter oder blauer Lavieren wirken alles andere als schutzlos und ausgeliefert. Mit ihrer eigensinnigen Mimik und unzugänglichen inneren Geschlossenheit präsentieren sie sich als vollkommen ausgebildete Individuen, denen trotz des gerade beginnenden Lebens ihre Endlichkeit bereits eingeschrieben ist. Und obgleich dieser unumgänglichen Tatsache spenden sie Hoffnung mit ihrem in frischen Farben pulsierenden Lebenswillen.

Monika Nowak, Berlin 2010

NEUGEBORENE

Steffi Weigel begibt sich in ihren jüngsten Arbeiten auf die Suche nach dem Ursprung unseres Lebens. Zarte Aquarelle auf großen Leinwänden zeigen Porträts von Neugeborenen, wenige Augenblicke nach ihrer Geburt. Die Künstlerin sieht ihnen ins Gesicht und versetzt sich in ihre Lage hinein:
Was geht in ihren Köpfen vor? Wovon träumen sie?

Sie zeigt die Häupter der Säuglinge überlebensgroß und aus nächster Nähe. In den Gesichtern spiegeln sich Anstrengung und Erschöpfung nach der ersten großen Schlacht.
Die transparenten, beinahe zeichnerischen Pinselstriche vor dem klaren weißen Hintergrund lassen die Köpfe schutzlos und zerbrechlich wirken. Gleichzeitig mildern die zarten Farbtöne den Schrecken des Erlebten.

Neben den hellen, großformatigen Leinwänden entstehen kleinformatige, dunkle Arbeiten auf Holz. Sie zeigen die Kinder, geborgen wie im Mutterleib, geschützt wie in einer warmen Höhle. Die Wärme des Holzes und der Farben umschließen sie wie ein eigener kleiner Kokon. Die Holzarbeiten bilden einen Gegenpol zu den Leinwandarbeiten. Aus Wärme und Geborgenheit werden die Neugeborenen
ins Helle, ins Leere und Ungewisse geboren. Bar jeder eigenen Erinnerung und Erfahrung, unbeschrieben wie ein weißes Blatt, nehmen sie ihren Platz im Leben ein und wenden sich wie eine aufblühende Knospe dem Licht und der Welt zu.

Das Wasser, aus dem wir alle ins Leben geboren werden und aus dem wir zu großen Teilen bestehen, symbolisiert den Fluss der Dinge, den Kreislauf von Werden und Vergehen. Durch die bewusste Verwendung von Aquarellfarben betont Steffi Weigel die besondere Bedeutung des Wassers. „Wasser ist das Urelement der lebendigen Natur, Wiege des Lebens und Mittelpunkt von allem, was lebt“ (S.
György). In den Schöpfungsgeschichten zahlreicher Kulturen ist das Meer der Ursprung aller Dinge, das Wasser das lebendige Chaos, der Träger von Information, aus dem alles entstanden ist und entsteht.

Steffi Weigels Bilder sind realitätsnah und sehr ehrlich. Ähnlich den Darstellungen von Neugeborenen Marlene Dumas’ beschreiben sie die erste Begegnung mit dem neuen Leben als fremd, lassen sie die Anwesenheit des kleinen Wesens mit eigenem Lebenswillen und Entschlusskraft als irritierend – und wunderbar empfinden. Doch bei aller Offenheit, in der Schrecken und Ungewissheit geschildert werden, transportieren die Arbeiten eine sehr positive Botschaft. Weigels Neugeborene
stehen nicht allein für die Konfrontation mit der Realität des Mutterseins mit all seinen Folgen, sondern vielmehr für das Leben selbst, für Erneuerung und Beständigkeit. Die Geburt ist der Beginn des Lebens, in jeder Geburt liegt ein Neuanfang, in jedem Neuanfang eine Chance.

Anna von Bodungen, April 2008

INSPIRATION, Kunstbüro Berlin, 2005, Ausstellung mit Rainer Fest

In den Arbeiten von Steffi Weigel trifft das Wirkungsvermögen von Farbe in sehr sinnlicher Weise auf den Betrachter und lädt ihn ein auf eine Reise zum Verborgenen. Inspiration als „Einhauchen von Leben“ gefasst, berührt inhaltlich und formal einen Wesensteil ihrer Kunst. Weigels Malerei, ihre Porträts und Landschaften entstammen, wie sie selbst sagt, „einer poetisch-romantischen Annäherung an die Welt“. Ihre Arbeiten sehe ich im Kontext einer jungen und höchst präsenten Künstlergeneration, die mit neuen Mitteln und Ausdrucksformen in einen Dialog mit der romantischen Tradition tritt und auch Naturmotive für sich wieder entdeckt – ich denke zum Beispiel an David Thorpe und Christopher Orr, Kai Althoff, Peter Doig oder Karen Kilimnik. Die Kunstbewegung der Romantik, die mit Caspar David Friedrich die Landschaft zum Seelenspiegel erhebt, formulierte die Frage nach der Vereinzelung des Individuums in einer durch Technisierung, Dualitätsdenken und Entmystifizierung gekennzeichneten Welt. Gegen fortschreitende Rationalitätsmodelle setzte sie ein Gefühlsvokabular der Sehnsucht und rückte Emotionen und spirituelles Empfinden in den Mittelpunkt. Intimität, Geistigkeit, Farbe und das Streben nach dem Unendlichen gehörten zu ihrem Credo. Für moderne Künstler waren Landschaftsmotive lange Zeit kein Thema, ,,Das Verlangen, das Schöne zu zerstören,“ – so Barnett Newman – „war die Triebkraft der modernen Kunst.“. Heute hat sich durch Globalisierung, Medialisierung und Virtualisierung die Komplexität unserer Welt in so drastischer Weise verschärft, dass Künstler – ausgehend von dem Bewusstsein unserer medial und technisch geprägten Optik – gerade diese medialen Mittel nutzen, um auf akute Entfremdungserscheinungen hinzuweisen.

Auch Steffi Weigels malerische Referenzen auf typisch romantische Motive wie Berge, Wasserfall oder Liebes-Topos sind häufig durch eine weiteres Medium transformiert, denn sie benutzt als Ausgangsmaterial für ihre Malerei aktuelle und historische Fotografien, auch Zeitschriften- oder Buchvorlagen. Damit gerinnt das Ursprungsbild zur Erinnerung wie das Gemälde gleichsam zum „Bild des Bildes“ wird.

Ihre Serie „Hinter den Bergen“ kreist um Ambivalenzen – um Verlust und Verheißung, um Einsamkeit und Geborgenheit, um Verbergen und Enthüllen. Der Titel weist auf Ahnungsvolles, regt an, den Kopf zu heben und den Blick weit nach oben zu richten. Dabei fällt sofort auf, dass die schmalen langformatigen Tableaus in starkem Kontrast zu den hohen Bergen stehen, die fast vom oberen Bildrand erdrückt werden. Ihre Berglandschaften siedelt die Künstlerin in außerzeitlichen, geradezu traumhaften Sphären an. Es gibt keinen erkennbaren geografischen Ort, auch keine konkrete Jahreszeit, auf mögliche menschliche Anwesenheit weisen nur einfache Zelt-Behausungen. Leise zeigt Weigel Dinge auf, die zu vermissen sind. Die Bilder wirken ruhig, es scheint wichtig, dem Moment der Entrücktheit emotionalen Ausdruck und Tiefe zu verleihen. Bewegung entsteht durch den Betrachter. Dafür ist Farblichkeit das tragende Medium. Patina-Töne in changierendem Braun und Rot, die Weigel mit strahlenden Lichtquellen kontrastiert, lassen noch einmal blitzartig das Ursprungsbild aufscheinen, jene alte vergilbte Fotografie, die dem Gemälde als Inspirationsquelle zugrunde lag.

Diese malerischen Kompositionen, die sich mit dem Verborgenen, dem „VerBergen“ auseinandersetzen, haben vielfältige, auch kollektive Erinnerungen, in mir wachgerufen: die Erinnerung daran, dass Berge die Spuren uralter Vergangenheit wie ein Archiv von ewiger Festigkeit bewahren, auch daran, dass sie als Übergangszone zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Raum, als privilegierte Orte heiliger Rituale und göttlicher Offenbarung galten. Die Serie „Hinter den Bergen“ stellt sich der Frage nach göttlicher Existenz mit dem Wissen darum – wie Heidegger sagt – dass „der Mensch (hat) die Neigung hat, sich an das scheinbar Nähere, das Seiende zu halten und dabei das Nächste, das Sein, das sich verbirgt, zu vergessen. Der Mensch als Existenz hat die Bestimmung, sich vom Sein in Anspruch nehmen zu lassen, offen zu sein für die Unverborgenheit der Lichtung selbst.“ (aus: Martin Heidegger, Sein und Zeit, zit. n. Josef Rauscher, Philosophische Anthropologie, München 1998)

Angelika Sommer
Kuratorin/Kunsthistorikerin